Von Thomas Riemer: Autor Uwe Karte hat sein Buch über den verstorbenen Fußballer Jörg Stübner vorgestellt. Ein bewegender Abend in Schloss Schönfeld.
Schönfelds Bürgermeister Hans-Joachim Weigel und Autor Uwe Karte hatten den Termin der Buchvorstellung lange vorbereitet. "Den Abend haben wir schon im Frühjahr geplant", bestätigt Karte. Damals hatte auch der "Buchheld" zugestimmt. "Ja, eigentlich hätte heute Jörg hier gesessen. Er hat sich auf die Buchpremiere gefreut", sagt der Journalist. Doch dann die schreckliche Nachricht. Am 24. Juni dieses Jahres verstarb Jörg Stübner. Plötzlich. Unerwartet. Mit 53 Jahren. Stille herrscht im Schlosssaal, als am Donnerstag ehemalige Fußballkameraden gezeigt werden, die ihm vor vier Jahren per Videobotschaft zum 50. Geburtstag gratulierten. Manche Träne wird weggewischt. Auch Uwe Stübner verfolgt die Bilder. "Als Bruder war ich sehr stolz auf ihn", sagt er später.
"Stübner – Popstar wider Willen" hat Uwe Karte das Werk betitelt, das er seit 2015 mit Jörg Stübner plante. Da hatte der einstige Vollblutfußballer von Dynamo Dresden und vielfache DDR-Nationalspieler seine wohl schlimmsten Jahre hinter sich. Uwe Karte erinnert sich, wie er mit Dynamo-Geschäftsführer Ralf Minge nach Wegen suchen wollte, wie man "den Burschen in die Gemeinschaft holen kann".
Eine Gemeinschaft, die Jörg Stübner seit 1991 unter den Fußballern nicht mehr fand. Dabei war er ein Star. Über Trainingszentrum sowie Kinder- und Jugendsportschule gelangte er als 12/13-Jähriger zum Leistungssport. "Er hat mir erzählt, dass man ab der 7. Klasse wie Profis behandelt wurde", so Uwe Karte. "Das war alles andere als Zuckerschlecken." Doch Jörg war erfolgreich. Auch wenn er beispielsweise mit dem Leben in einem Wohnheim nicht zurechtkam. Familie Stübner hatte Glück. Sie bekam in Dresden eine Vier-Raum-Wohnung zum Mietpreis von 105 DDR-Mark. Jörg Stübners Weg ging weiter steil nach oben. Berufungen in den Kader von Nachwuchsauswahlmannschaften folgten, Reisen ins Ausland. Nach einer Woche in Österreich sei er "mit sich selbst beschäftigt" gewesen. Uwe Karte schildert, dass Jörg Stübner in den Gesprächen ein erstaunliches Erinnerungsvermögen zeigte. Auch an die Reise in die BRD 1982. In Kassel traf die DDR auf den "Klassenfeind" in einem Nachwuchsvergleich. "Die hatten zwei Spieler mit Popperlocke", so Uwe Karte. Und da seine Mutter seinerzeit in einem Friseursalon arbeitete, war der Weg zum "Popstar" geebnet. Was den damaligen Dynamo- Dresden-Coach Walter Fritzsch zu dem Satz trieb: "Du siehst aus wie ein Schlagersänger."
Jörg Stübner war Vollblutstürmer. Bis zu jenem 11. September 1985. Da kochte er als Manndecker den damaligen Weltstar Michel Platini beim 2:0-Sieg gegen Frankreich buchstäblich ab. "Es war das Spiel seines Lebens", so Uwe Karte. Aber: Jörg Stübner wurde fortan in der Auswahl auf die Manndecker-Rolle reduziert. "Das Land, also die DDR, hat Helden gebraucht", glaubt Uwe Karte. Jörg habe später zu ihm gesagt, dass er oft von dem Frankreich-Spiel geträumt habe – "aber es fand in Halsbrücke statt". In der Gemeinde im heutigen Landkreis Mittelsachsen, wo Jörg aufwuchs und seine ersten Fußballschuhe schnürte. Und wohin er früher zur Oma flüchtete, wenn das Heimweh im Internat zu groß war.
Die Festlegung auf die neue Rolle schwappte von der DDR-Auswahl auf Dynamo Dresden über. Trainer Eduard Geyer "hat ihn da in seiner Kreativität beraubt", glaubt Uwe Karte. Das Dilemma: Stübner hat mit Geyer nie darüber gesprochen. Unabhängig davon trugen die Fans Jörg Stübner auf Händen, die Mädchen standen Schlange. Kein Geheimnis: Schulterklopfen oder Probleme-Wälzen fanden in dieser Zeit auch oft in der Bar bei Sekt, Bier oder Whisky statt. "Es war schwer, da an ihn ranzukommen", blickt Autor Karte zurück. Dass Jörg Stübner nach der Wende nicht wie andere zum Bundesliga-Star wurde, kam erschwerend hinzu. Helmut Schulte, damals Trainer bei Dynamo, wollte ihn aus dem Tief herausholen. Doch der Körper, geschwächt von zunehmenden Verletzungen, spielte nicht mit.
"Eigentlich waren wir auf einem guten Weg", skizziert Uwe Karte die letzten Jahre. Jörg lebte zwar zurückgezogen als Sozialhilfeempfänger. Doch zu den regelmäßigen Treffen erschien er immer pünktlich. "Einmal kam er zu spät, weil er von Klein- Zschachwitz zu Fuß ins Stadion gegangen ist", erinnert sich Karte. Typisch Stübner, der die Öffentlichkeit scheute. "Jörg konnte sich nicht vorstellen, in fremder Umgebung Fuß zu fassen. Und dann war dieses Gefühl: Du bist ein Versager." Dass er – anfangs anonym – wieder zu Heimspielen von Dynamo ins Stadion ging, gehörte zu den großartigen Nachrichten aus Sicht des Autors. "Es war bewegend, das zu sehen."
Zweieinhalb Stunden auf Schloss Schönfeld sind im Fluge vergangen. Die Zuhörer schweigen nachdenklich. Uwe Karte: "Andere Spieler hatten Mittelscheitel oder Kaltwelle. Jörg hatte seinen eigenen Kopf." Nicht nur der Popper-Locke wegen.